Unsere Existenz ist kontingent[1]. Dazu gehört auch die Tatsache, in welche Familie wir hineingeboren werden. Niemand hat uns dazu befragt, wir haben nicht den Hauch eines Einflusses darauf, in welche Familie, in welche Verhältnisse wir hineingeboren werden und in denen wir uns nachfolgend entwickeln müssen. Das wird in vielen Fällen auch als beengend empfunden, zumal es nicht leicht ist, sich aus einem als unpassend oder einengend empfundenen Familienverbund zu lösen. Bei Unternehmerfamilien kommt erschwerend dazu, dass ausgesprochene und unausgesprochene Erwartungen ans neue Familienmitglied wirken: hauptsächlich diese, die Resultate des unternehmerischen Wirkens der Vorgängergeneration zu bewahren und wenn möglich zu mehren. Diese ausgesprochenen und unausgesprochenen Erwartungen sind für viele Menschen eine Belastung, der sie aber nicht immer leicht entfliehen können.
Der Familien-Exit ist aus zwei Gründen schwierig:
Zum einen sind es oft materielle Gründe, die den Ausstieg aus einer Familie schwierig machen. Das Vermögen ist grossenteils in einem oder mehreren Unternehmen gebunden, und wenn diese privat gehalten sind (was in der Mehrheit der Fall ist) ist ein Verkauf eines Anteils oft unmöglich (weil den kaufenden Familienmitgliedern die Liquidität oder die Bereitschaft zum Kauf fehlt. Und der Verkauf eines Minderheitsanteils an einen Dritten ist unmöglich). Bei börsenkotierten Firmen ist dies etwas einfacher, wirft aber oft Fragen und Zweifel bei den übrigen Anlegern am Commitment der Familie auf. Dazu kommt, dass oft Familienmitglieder von der Beschäftigung im eigenen Familienunternehmen ihr einziges Einkommen beziehen, und davon abhängig sind. Die Abhängigkeit ist umso grösser, je tiefer die eigenen Arbeitsmarktchancen und je höher die Bezüge aus dem Familienunternehmen sind.
Nicht zu unterschätzen sind aber auch emotionale und soziale Gründe gegen den Familien-Exit. Die Zugehörigkeit zu einer grossen, renommierten Unternehmerfamilie gibt ein soziales Prestige und Zugang zu Kreisen, die man als Einzelindividuum kaum hat. Aber nicht nur das: es gibt einem auch das Gefühl der Verbundenheit mit der Geschichte der Vorfahren und man ist eingewoben in einen ewigen stream von Geschichten und Ereignissen, die spannend, bereichernd und selbstwertsteigernd sein können. Verlässt man eine Familie, so wird man auch von diesen Bedeutungszusammenhängen ausgeschlossen, man ist quasi auf sich allein gestellt. Dazu braucht es schon eine stärkere und robustere psychische Konstitution, eine starke eigene Identität, um dies auszuhalten. Nicht alle verfügen darüber.
Eines ist klar: das Mitwirken in einer Unternehmerfamilienkonstellation gegen den eigenen Willen und gegen die eigenen Absichten ist sehr schädlich – fürs betroffene Individuum, aber auch für die Familie als System. Üben diese Menschen zudem noch eine leitende Funktion im Unternehmen aus, leidet auch das Unternehmen und damit der Kern des Wohlstandes einer Familie. Deshalb ist es zentral, dass wir in jeder Unternehmerfamilie klare und faire Exitregeln haben. Dazu gehören u.a.:
Jede Familie sollte klare und faire Exitregeln definieren und verbindlich festhalten. Dies geschieht immer in einer Familienverfassung und dem daraus folgenden Aktionärsbindungsvertrag[2]. Diese Regelungen soll man in definierten Perioden überprüfen, üblicherweise im Generationenrhythmus.
Bei privat gehalten Unternehmen geht es darum, eine Bewertungsformel zu definieren, die für beide Seiten fair ist: für den Verkäufer und den Käufer. Da die Käufer mit dem Kauf der Anteile eines ausscheidenden Familienmitgliedes weiteres Risiko eingehen (denn sie müssen ja die Firma weiterentwickeln), ist ein Familiendiscount auf die üblichen Bewertungen sinnvoll. Für den Verkäufer (der aus dem unternehmerischen Risiko entlassen wird) darf der Discount aber auch nicht zu hoch sein, da wir sonst eine Form der materiellen Enteignung erkennen können, was ebenfalls nicht fair ist. Es gibt keine klare, akademisch begründbare Antwort zur Höhe eines Familiendiscounts (ich habe alles zwischen 10 und 50% gesehen), zumal es ja auch noch auf die Bewertungsmethodik ankommt. Dies alles ist Verhandlungssache, aber wichtig dabei ist: die Regeln müssen vorgängig ausgehandelt werden und für alle Beteiligten gelten und klar kodifiziert werden. Zuwarten bis einmal jemand aussteigen will, ist sicher keine gute Idee.
Kluge Unternehmerfamilien halten aber auch die emotionalen und sozialen Hürden für den Familien-Exit klein. Was heisst das? Sie schaffen Mechanismen und Foren, in denen aus dem Aktionariat ausgeschiedene Familienmitglieder noch immer Anteil am Unternehmens- und Familiengeschehen nehmen können (wenn sie es denn wollen), natürlich ohne Mitspracherechte! Hier haben sich Familienversammlungen oder -kreise bewährt, die z.B. einmal im Jahr einberufen werden und in denen über Fortschritte und Innovationen im Unternehmen berichtet wird und in denen vor allem das Gespräch und die Familiengeschichte gepflegt wird. Das kann ergänzt werden durch elektronische Massnahmen wie Newsletter oder für alle zugängliche Familiengeschichtsforschung. Diese Mechanismen und Foren bewähren sich übrigens auch bei sehr grossen Familiengesellschaften, wo viele Menschen kleine bis sehr kleine Anteile an einem Unternehmen halten. Und schliesslich und endlich sind sie hilfreich bei der Heranführung der kommenden Generation an Geschichte und Gegenwart der Familie und ihrer Unternehmen.
Kurzum: wenn es Familien gelingt diese Regeln zu gestalten, dann muss Familie kein schmerzhaftes Gefängnis sein!
[1] Der Begriff der Kontingenz spielt vor allem in der Philosophie der Ritter Schule eine zentrale Rolle. S.h. dazu z.B. Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Styria 1986, besonders Kapitel. 3, oder Odo Marquard, Abschied vom Prinzipiellen, Reclam 1981, bezw. Ders., Apologie des Zufälligen, Reclam 1986.
[2] In Deutschland und Oesterreich ist es der Gesellschaftervertrag